Washington Black • Esi Edugyan
Washington Black habe ich schon länger im Schrank stehen. Vom Klappentext und der Buchgestaltung fand ich es sehr ansprechend, habe dann aber lange gezögert es mir zu holen, denn es geht darin um Sklaverei und den unmenschlichen Bedingungen auf einer Zuckerrohrplantage. Ein Thema das zu lesen sich anstrengend anhört. Zudem ist die Darstellung von großer Ungerechtigkeit ein für mich sehr primitives Narrativ, um eine Geschichte voran zu bringen und die Gefahr, dass das in diesem Buch passiert, war sehr groß. Zusammen mit der Tatsache, dass es sich um ein ausgezeichnetes Bestsellerbuch handelt und sogar von Barack Obama empfohlen wurde, ist eigentlich ein sicheres Indiz dafür die Finger davon zu lassen. Aber ich habe es gewagt und darüber möchte ich hier nun schreiben.
Washington Black, ein Sklavenjunge, etwa um die zehn Jahre alt, arbeitet unter harten Bedingungen auf einer Zuckerrohrplantage auf der Insel Barbados. Durch einen Zufall wird er der Diener von Christopher Wilde, dem Bruder des herzlosen Plantagenbesitzers. Dieser ist Erfinder und im Verlauf der Geschichte fliehen beide in einem von Wilde entwickeltem Luftschiff von der Insel. Für Washington Black ist es eine Flucht vor der Sklaverei, aber auch die Suche nach der eigenen Identität.
Vorneweg muss ich sagen, dass es natürlich Beschreibungen der Grausamkeiten gegenüber den Sklaven gibt, diese aber nicht sehr ausführlich sind und eher als tragischer Lebensalltag geschildert werden. Das macht sie nicht minder schrecklich, aber sie sind kein Vehikel, um der Geschichte Spannung zu verleihen, was ich der Autorin hoch anrechne. Von der Werbung auf der Rückseite ausgehend, die auf Jules Verne verweist, hatte ich die Hoffnung, dass es in die Richtung wie Fünf Wochen im Ballon geht, immerhin wird im Klappentext prominent das Luftschiff erwähnt. Da wurde ich aber leider enttäuscht. Stellenweise mutet das Buch schon an wie ein Abenteuerroman, der Protagonist umreist auch die Welt, es wird aber dann doch immer wieder von längeren Abschnitten unterbrochen, wo der Fokus auf die Menschen und ihre Beziehung zueinander gelegt wird.
Wie erwartet ist die Sklaverei, deren moralische Verwerflichkeit und auch stellenweise deren Aufarbeitung, ein zentrales Thema. Darin was der Protagonist über seine eigene Herkunft und Vergangenheit herausfindet, was Wilde gegen die Sklaverei unternimmt und auch durch die zentrale Fragestellung des Buches, was Washington Black denn aus seinem Leben machen möchte. Was für ihn Freiheit bedeutet und welche Möglichkeiten er in einer Welt hat, die erst im Begriffe ist, die Sklaverei abzuschütteln. Hier findet der Leser Gedanken, die ganz interessant sind, aber meinem Empfinden nach nie besonders in die Tiefe gehen. Sie fokussieren sich immer auf Washington Black als konkrete Figur, es wird aber eigentlich nicht sehr abstrahierend.
Die Beschreibungen der Handlungsorte haben mir sehr gut gefallen, hier findet Edugyan oft sehr schöne und treffende Worte, um die Atmosphäre und die Landschaften zu beschreiben. Oder auch Detaileindrücke, wenn sie beispielsweise beschreibt, wie Washington Black das erste Mal zu Christopher Wilde kommt und dabei einen Eisennagel umklammert. Das weckt oft Bilder, die sehr schön ausgestaltet sind und mir von ihrer Wirkung gut gefallen haben.
Auch vom Spannungsverlauf ist das Buch gut gelungen, es gibt immer ein Element, dass das Buch voran bringt und den Leser bei der Stange hält. Besonders ausgefeilt ist das zwar nie und oft hat es auf mich einfach zu konstruiert gewirkt, aber insgesamt ziehen einen diese Spannungselemente durch die Geschichte und lassen sie nicht langweilig werden. Es ist klar, dass Edugyan mit Washingtons Leben und den einzelnen Etappen Fragen aufwerfen und stellenweise beantworten möchte und das ist ihr mit dieser Struktur auch gut gelungen, wenn sie auch sehr auf den Protagonisten zentriert sind.
Was die Figuren angeht, bin ich hin und hergerissen. Es gibt einige Charaktere, die Edugyan sehr gut gelungen sind. Tanna beispielsweise. Oder auch Washington Black selbst, der schon eine differenzierte Persönlichkeit hat. Obwohl das Buch aus der Ich-Perspektive erzählt wird, habe ich aber zu ihm nie eine starke Bindung aufgebaut und nie so richtig mit ihm mit gefühlt. Einige der anderen Figuren fand ich einfach zu stereotyp. Beispielsweise Wilde oder auch später Tannas Vater. Jeder Wissenschaftler in dem Buch ist gefühlt ein verschrobener und verwirrter Erfinder, mit einem selbstlosen ergebenen Diener und Gehilfen. Das war schon auffällig und wirkt eintönig und unrealistisch. Man merkt den Figuren an, dass sie eben Figuren sind, ein Effekt, den ich bei Nicht-Klassikern oft habe.
Ich habe mich beim Lesen des Buches immer gefragt, was das Buch sein möchte, was es zum Ausdruck bringen möchte. Es ist keine richtige Abenteuergeschichte, kein richtiges Buch über Sklaverei, keines über die Aufarbeitung der Ungerechtigkeiten der Sklaverei, es ist kein Roman über Wissenschaft und wissenschaftliche Entdeckungen, kein richtiger Reisebericht, es ist keine Charakterstudie oder keine fiktive Biografie. Irgendwie ist es eine Mischung aus Allem und Nichts. Es hat von allem einzelne Elemente, aber mir war es dann in Summe zu ziellos und das Buch wurde keinem der Elemente wirklich gerecht. Vielleicht ist das alles so gewollt, aber für mich ist das Buch nichts Halbes und nichts Ganzes.
Die Sprache ist angenehm lesbar, besonders wenn das Setting beschrieben wird, wartet Edugyan immer wieder mit schönen Sätzen und Formulierungen auf. Die Ich-Perspektive passt sehr gut zu der Lebensgeschichte, die hier erzählt wird, entfaltet aber nur bedingt ihre Wirkung.
Optisch finde ich die Ausgabe sehr gelungen. Der Umschlag mit der goldenen Verzierung, dem schönen Luftschiff im Steampunk-Stil und die Farben, das sieht schon prächtig aus. Auch im Zusammenspiel mit dem illustrierten Vorsatz und Nachsatzpapier, wo die Insel Barbados mit Blick auf das Meer skizziert ist, sieht das einfach stimmig und schön aus. Es sollte mehr Bücher mit einer so wunderbaren Gestaltung geben, da hat der Eichborn Verlag ganze Arbeit geleistet.
Fazit: Das viel gelobte Buch konnte mich nur mäßig begeistern. Die Geschichte ist zwar unterhaltsam, sprachlich liest es sich gut und auch die Gestaltung ist wunderschön. Allerdings hat die Geschichte für mich keine klare Linie. Ich hatte mir deutlich mehr eine Abenteuergeschichte gewünscht, wie es der Klappentext versprochen hat, aber das ist das Buch nicht. Es ist auch kein richtiger Reisebericht und auch wenn die Sklaverei ein zentrales Element ist, so bietet es in dieser Hinsicht wenig Bemerkenswertes. Auch die Figuren fand ich von der Ausgestaltung durchwachsen und oft zu stereotyp oder uninteressant. Das Buch liest sich angenehm, es hat Unterhaltungswert, man muss es aus meiner Sicht aber sicher nicht gelesen haben. Ich bin noch unschlüssig, ob ich es behalte oder nicht doch lieber in den öffentlichen Bücherschrank hinaus stelle.
Buchinformation: Washington Black • Esi Edugyan • Eichborn Verlag • 512 Seiten • ISBN 9783847906650
Es ist immer wieder ein Fest, bei Dir reinzuschauen. Und wenn ich meine Bücher nach Covern kaufen würde, würdest Du mich noch ärmer machen, als ich ohnehin schon bin.
Viel Freude beim Entdecken weiterer schöner Bücher.
Liebe Grüße,
Anne-Marit
Liebe Anne-Marit,
vielen Dank für Dein positives Feedback. Es gibt schon richtig schön gestaltete Bücher und ich bin da auch echt anfällig dafür, zu viele schöne Ausgaben zu kaufen. Obwohl, zu viele kann man da ja nicht haben 😉
Liebe Grüße
Tobi
Warum sollte man von einem Buch, dass Obama empfohlen hat, erst einmal „die Finger lassen“? Warum ist die Darstellung „großer Ungerechtigkeit“ wie der Sklaverei ein „primitives Narrativ“?
Liebe Sandra,
das ist ein reiner Erfahrungswert. Bücher die groß angepriesen werden und besonders von Prominenten empfohlen werden, waren bei mir deutlich öfter ein Griff daneben, als beispielsweise Klassiker oder mit viel Zeit von mir entdeckte und eher unbekannte Bücher. Ähnlich geht es mir mit Spiegel Bestseller. Es gibt schon gute Bücher, die als Spiegel Bestseller geführt werden, das ist klar, aber die Trefferrate ist einfach deutlich geringer.
Ich empfinde es als ein sehr plumpes Stilmittel beim Leser Emotionen mit starker Ungerechtigkeit oder Grausamkeit zu wecken. Natürlich sehnt sich der Leser dann danach, dass diese Ungerechtigkeit wieder ausgeglichen wird wodurch es ein sehr einfaches Vehikel ist, um eine Geschichte spannend zu machen. Mir geht es bei Büchern gerade und die subtileren Gefühle und die Feinheiten zwischenmenschlicher Interaktion. Tatsächlich hat sich die Befürchtung bei diesem Buch aber nicht bestätigt. Es gibt schon grausame Darstellungen der Sklaverei, sie stellen aber einen Rahmen dar und sind eben nicht ein billiges Mittel, den Leser damit irgendwie zu fesseln.
Liebe Grüße
Tobi