Deutscher Buchmarkt in der Krise: Wie künstliche Intelligenz die Buchqualität ruiniert
Seitdem künstliche Intelligenz mit ChatGPT in aller Munde ist, findet in sehr vielen Anwendungen und Lebensbereiche KI ihren Einzug. Natürlich bleiben auch Verlage nicht davon verschont. Eine neue Entwicklung ist aber sehr schockierend. Sicherlich nicht in ihrer aktuellen Ausprägung, aber hinsichtlich der Perspektive, die sie dem Buchmarkt gibt. Ich habe auch immer wieder den Eindruck, wie wenig den Menschen im Literaturbetrieb klar ist, was da auf sie zu rollt. Mit künstlicher Intelligenz und auch mit der demografischen Entwicklung im deutschsprachigen Raum. In diesem Beitrag möchte ich ein wenig darüber schreiben.
Die Firma Media Control hat angekündigt, ihre neueste KI basierte Lösung DemandSens ab nächstes Jahr zahlenden Verlagen zur Verfügung zu stellen. Für ein mit ISBN Nummer gelistetes Buch soll diese Anwendung vorhersagen können, wie erfolgreich ein Buch sein wird. Die Trefferrate wird mit 85% und in bestimmten Bereichen mit bis zu 99% angegeben. Fünf Milliarden Datensätze sollen in etwa einer Sekunde ausgewertet und für eine Prognose herangezogen werden. Bevor ein Buch also in den Handel kommt, kann eine Vorhersage getroffen werden, wie viel Verkäufe es generieren wird. Und die Firma Media Control kann auf sehr hochwertige Daten zurückgreifen. So werden neben den täglichen Verkaufszahlen der Bücher beispielsweise auch Daten von TikTok und weitere Metadaten herangezogen.
Liest man nun ein wenig zu dem Thema, dann wird über diese Software erstaunlich wenig geschrieben. Die Süddeutsche spricht von einer „Atombombe“, das Börsenblatt hat darüber berichtet und auch die NZZ hat darüber geschrieben. Wie es zumeist der Fall ist, setzen sich die Schweizer kritisch und realitätsnah mit den Themen auseinander. Über einige Aussagen im NZZ Artikel war ich schockiert. Zum einen bestätigen sie nochmal eine Entwicklung, die ich in einem früheren Beitrag bereits thematisiert habe. Es lesen immer weniger Menschen Bücher, diese dafür scheinbar immer mehr. Die Leserschaft schrumpft, damit aber auch die Diversität, was sich auch in der Anzahl der veröffentlichten Buchtiteln und der um 10% gesunkenen Anzahl an Neuübersetzungen niederschlägt.
„[2021] wurden in Deutschland 273 Millionen Bücher verkauft, die aber nur auf eine Million Titel verteilt waren.“
nzz.ch
Es gibt also eine ganz klare Fokussierung auf wenige Titel (soweit man eine Millionen Bücher als wenig bezeichnen kann, der Faktor ist allerdings schon interessant). Und wenn ich mir die Spiegel Bestenliste anschaue, dann schwant mir da Schlimmes. Und nun kommt eine KI ins Spiel, welche die Verlage unterstützt, die umsatzstärksten Bücher vorzuselektieren. Betrachte ich die Zahlen des deutschen Büchermarktes, dann ist völlig offensichtlich, dass die Verlage künftig gezwungen sein werden, nach allen Mitteln zu greifen. Ein Verlag ist ein Unternehmen, das profitabel sein muss. In dem derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld, dem massiven Rückbau der deutschen Wirtschaft, der deutlich gestiegenen Inflation, inmitten der Lohn-Preis-Spirale, werden nur die Verlage überleben, die ihre Profite sichern können. Momentan wird hier die TikTok-Sau durchs Dorf getrieben. Was vor zehn Jahren Buchblogs waren, wurde zwischenzeitlich zu Instagram, dann zu BookTuber und nun zu Booktoker. Aber machen wir uns nichts vor, die Leserschaft wird nicht größer, die schrumpft momentan in Deutschland, in den letzten zehn Jahren um 33%. Ein KI Tool, das die Erfolgsrate eines Buches vorhersieht, ist da ein Mittel, dass die Effizienz eines Verlags massiv steigern kann.
Liest man sich nun genauer durch, was DemandSens bietet, so ist die Funktionalität überschaubar. Ulrike Altig, Geschäftsführerin von Media Control, wiegelt in einem Interview mit Deutschlandfunk ab. Immerhin müssen Bücher bereits gelistet sein, also eine ISBN haben. Also nur ein Hilfstool, um die Auflagengröße abzuschätzen. Also kein automatischer Scan von einem Buchtext oder Exposé, um dann schon vor Veröffentlichung eine Prognose zu wagen. Alles halb so wild, keine große Sache also. Entsprechend sieht es Ulrike von Stenglin, Geschäftsführerin des Gutkind Verlags, in einem Interview mit dem SWR. Und die Reaktion ist das, was ich aus dem Literaturbetrieb gewohnt bin. Das lässt mich oft an Beamte denken, die da ganz entspannt vor sich hin wursteln.
Als Verlag oder Lektorin würde ich da Panik im mittleren Bereich haben. Warum? Media Control ist nun keiner der großen Player und ich vermute, das war schon ein Kraftakt das Tool in der aktuellen Form auf die Straße zu bringen. Ein Unternehmen wie Amazon ist da aber schon in ganz anderen Größenordnungen unterwegs. Amazon hat alle Bücher in digitalisierter Form vorliegen, Amazon hat Verkaufszahlen, Amazon kennt die Verknüpfungen von Büchern untereinander, das heißt sie wissen, was die Konsumenten sonst noch lesen und mit dem Kindle und Audible wissen sie sogar was innerhalb der Bücher gelesen wird. Also die Information, an welcher Stelle die Leser abspringen, wie schnell sie einzelne Passagen lesen, was ideal für ein Training einer KI zur Bewertung von konsumentenfreundlichen Inhalten ist. Mit Goodreads haben sie zusätzliche Statistiken von Viellesern. Amazon hat mit AWS eine gigantische Infrastruktur und ausreichend günstige Rechenpower. Und Amazon hat die Expertise KI zu nutzen, weil es jetzt schon ihr tägliches Brot ist. Es ist für mich eine Frage der Zeit, bis dieses Wissen zusammengeführt und mittels KI zugänglich gemacht wird. Ein Manuskript in eine KI zu pumpen, die nahezu alle (!!!) bisher veröffentlichten Bücher inhaltlich erfasst hat, die Verkaufszahlen kennt, die zudem noch sehr viel anderes generalisiertes Wissen enthält und innerhalb Sekunden beurteilen kann, ob ein Buch sich gut verkauft oder nicht, das ist nicht weit weg. Und darum geht es: Verkauft sich ein Buch gut oder nicht. Um nichts anderes. Verlage und Unternehmen wie Amazon haben keinen Kultur- oder Bildungsauftrag. Es geht darum Gewinne zu machen, weiter nichts.
Als Gegenargument werden dann immer Klassiker genannt, die neuartig waren und daher zu einem Überraschungserfolg und auch einer kulturellen Bereicherung geführt haben. Ulysses ist da immer an vorderster Front zu finden. Literatur ist ja Kunst, das lässt sich nicht einfach in einen Algorithmus pressen. Da geht es um Menschen, um den Zeitgeist, die Verarbeitung politischer, emotionaler, kultureller, ja alle Lebensbereiche umfassenden Themen. Das stimmt auch, aber am Ende zählt der wirtschaftliche Erfolg. Ein Verlag, der pleite ist, kann keine Novitäten veröffentlichen. Und machen wir uns nichts vor, die meisten Bücher, die verkauft werden, sind nun keine große Literatur. Das Brot und Butter Geschäft ist, neben Fach- und Schulbüchern, Unterhaltungsliteratur. Ich traue das jetzt schon einer KI zu, das hundertste Sarah Lark Buch zu schreiben. Oder den tausendsten Young Adult Roman. Oder die Schmonzetten, bei denen eine junge Frau auf dem Dachboden irgendwelche Briefe oder Tagebücher ihrer Großmutter findet, woraufhin die Protagonistin dann die Lovestory ihrer Oma ergründet und sich dabei selbst natürlich verliebt. Dieses Thema wurde unzählige Male in verschiedensten Büchern mit unterschiedlichsten Setting durchgeknetet. Wenn schon eine KI so etwas nicht selbst schreibt, dann glaube ich das sofort, dass sie eine realistische Einschätzung über den Erfolg eines Manuskriptes geben kann.
„Noch ein Stimmungsbild aus der Branche, das vielleicht mehr Analyse brauchte als alles andere: Immer mehr junge Menschen finden gar nicht erst Zugang zu Büchern, «weil sie nicht sinnentnehmend lesen können», wie die Börsenvereins-Chefin Karin Schmidt-Friderichs das ausdrückt. Neben dieser Bildungskatastrophe wirken Debatten über die Gefahr der künstlichen Intelligenz nur kleinlich.“
nzz.ch
Der große Anteil konsumierter Bücher sind nun mal keine tiefgreifenden Romane oder Klassiker. Und nimmt man das Zitat aus dem NZZ Artikel, dann kann man das nicht von der Hand weisen. Die Leserschaft ändert sich. Bücher konkurrieren mit dem Unterhaltungswert der neuesten Netflix Serie, müssen also angenehm und leicht zu konsumieren sein. Das Niveau wird weiter deutlich sinken. Alleine schon aufgrund der stark nachlassenden Lesekompetenz von Kindern. Während 2001 jedes sechste Viertklässlerkind Probleme mit dem Lesen hatte, sind es 2021 bereits jedes vierte Kind. Dazu kommt die gescheiterte Integration von Migranten in Deutschland. So erhalten zugewanderte Kinder natürlich keine ausreichende Leseförderung. Für Verlage wird der Markt also noch schwieriger, weil immer weniger Kundschaft nachrückt. Weiter explodierende Preise durch Inflation, der Fachkräftemangel und zusätzlich ein schrumpfender Absatzmarkt. Die Talsohle ist hier noch nicht im Ansatz erreicht.
Sich also wie Ulrike von Stenglin entspannt zurückzulehnen und diese aktuelle Lösung kleinzureden, halte ich für einen großen Fehler. Und man merkt jetzt schon, wie die Verlage Probleme bekommen. Der Suhrkamp Verlag beispielsweise, hatte deutliche finanzielle Schwierigkeiten, bevor er einen neuen Eigentümer bekam. Ob dieser die strukturellen Probleme des Verlags lösen kann, ist fraglich. Ich muss ehrlich sagen, dass der Suhrkamp Verlag für mich als Vielleser völlig uninteressant ist. Klar, da sind viele Klassiker im Programm. So habe ich von Herman Hesse ein paar Bücher im Schrank stehen. Aber sind wir mal ehrlich: Innovativ, ansprechend oder interessant ist etwas anders. Die Bücher sind von der Aufmachung einfach grottenhässlich, die sehen seit hundert Jahren gleich aus, keine nennenswerten neuen Veröffentlichungen. Der Insel Verlag ist unter dem Dach noch so mit das Beste, aber auch die Bücher waren immer schon einfach nur hässlich. Wenn ich das mit dem Manesse Verlag vergleiche, ebenfalls ein traditioneller Verlag mit vielen Klassikern, dann ist das einfach ein deutlicher Unterschied. Da merkt man an dem Programm und auch an der Neugestaltung der berühmten Klassiker der Weltliteratur, dass man zumindest versucht, sich an den Markt anzupassen. Auch der Klett Cotta Verlag versucht mit farbigen Buchschnitten und ansprechender Buchgestaltung neue Käufergruppen zu erschließen (Stichwort TikTok). Man veröffentlicht zwar alte Bücher in neuem Gewand, dazu dann auch noch als broschierte Fassung, was zeigt, wie anspruchslos die neue Leserschaft ist: Billige Verarbeitung aber mit hübschen farbigen Buchschnitt. Machen wir uns nichts vor, mit einer neu erwachten Liebe zur Bibliophile hat das nichts zu tun. Aber ich finde es gut, dass die Verlage neue Wege gehen, Neues versuchen und diese Lesergruppen auch abholen. Oder nehmen wir mal die Büchergilde. Mal abgesehen davon, dass die Buchgestaltung der meisten Bücher (es gibt ein paar Schöne) einfach komplett unterirdisch ist, frage ich mich, wen man mit dem Programm ansprechen möchte? Wenn der Laden so weitermacht, dann wird ihnen die Kundschaft schon deshalb ausgehen, weil die alte Generation wegstirbt, denn ein junges Publikum spricht dieses Programm mit dieser speckigen oft biederen Gestaltung sicher nicht an.
In diesem angespannten Umfeld wäre ich als Verlag sehr an jeglicher neuen Lösung interessiert. Besonders KI bietet einfach ein massives Optimierungspotenzial. Mit einer Steigerung der Effizienz und den damit geschaffenen finanziellen Spielraum, lässt sich auch wieder die berühmten querfinanzierten hochwertigen Literatur finanzieren.
Gleichzeitig besteht das große Risiko, dass die Qualität der Bücher völlig vor die Hunde geht, wenn nur noch für den Massenmarkt produziert wird. Wenn mit Hilfe von KI sich verkaufsstarke Bücher mit wenig Aufwand produzieren lassen, dann wird der Markt es regeln und die Verlage werden überleben, die genau das zu nutzen wissen.
Ein Vergleich ist hier die Videospieleindustrie. Es gibt wunderschön und aufwendig gemachte Spiele. Ich denke da an Titel wie Horizon Zero Dawn oder Cyberpunk 2077, mit einem starken Storytelling, einer wunderbaren Grafik und extrem hochwertiger Musik. Und es gibt Spiele, die auf In-Game-Käufe setzen, billige Mobile-Games für zwischendurch, daddeln für die Anspruchslosen, Mini-Games um die Zeit tot zu schlagen. „Der Anteil von In-Game-Käufen (Mikrotransaktionen, virtuelle Zusatzinhalte, etc.) am Gesamtumsatz im Videospielemarkt (ohne Hardware) in Deutschland betrug im Jahr 2023 rund 71 Prozent.“ (Quelle statista.com). Ja klar, es ist aus unternehmerischer Sicht deutlich einfacher ein billiges Spiel, den tausendsten Aufguss von etwas auf dem Markt zu werfen, das mit wenig Aufwand schnell viel Geld bringt, als fünf Jahre Entwicklungszeit und einen dreistelligen Millionenbetrag zu investieren, um Kulturgut zu schaffen. Risikomanagement. Ein Verlag wird eher geneigt sein, ein völlig anspruchsloses Buch für die Massen auf den Markt zu werfen, wenn er weiß, dass er mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit damit Profit macht, als ein völlig neuartiges Buch zu verlegen, wo er mit extrem hohe Risiko ins Rennen geht und ein Minusgeschäft macht. Eine KI, die hier den entscheidenden Hinweis in mehr als 80% der Fälle gibt, der wird der Verlag vertrauen. Er muss es, weil das die Gesetze des Marktes sind, weil er sonst einen Wettbewerbsnachteil hat. Die Schlagzeile der SZ, die Bezeichnung „Atombombe“ trifft es aus meiner Sicht hier sehr gut. DemandSens ist das noch nicht, aber die Perspektive ist es. Übertreibe ich? Vielleicht.
Es ist so, wie es immer ist: Die Antwort liegt irgendwo dazwischen. Die Welt wird nicht untergehen (sie geht nie unter), sie wird sich aber auch nicht optimal entwickeln (sie ist nie perfekt, auch das ist evident). Das ist meine Sicht auf das KI Thema und Verlagsumfeld und ich denke, der lahme akademische Literaturbetrieb muss anfangen sich zu bewegen, um morgen nicht auf der Straße zu sitzen und den Kitt aus den Fensterläden zu fressen. Aber hey, was weiß ich schon, ich bin nur ein Vielleser und der unerschöpfliche Quell wunderbarer Bücher, den habe ich ja schon. Ich bin also ganz entspannt.
Wie seht ihr das? Wird KI den Buchmarkt ordentlich durcheinander wirbeln? Oder wird sich nichts ändern? Arbeitet ihr im Literaturbetrieb? Habt ihr Panik? Oder übertreibe ich hier nur wieder und alles ist in Butter? Was denkt ihr?
Hi Tobi,
das Niveau sinkt meines Erachtens schon seit Jahren. Zum ersten Mal ist mir das aufgefallen, als Skandinavien-Krimis von Henning Mankell und ein paar anderen bekannter und beliebter wurden. Man hatte irgendwann das Gefühl, dass plötzlich die Autoren und Veröffentlichungen nur so aus dem Boden schossen, da liegt es in der Natur der Sache, dass die Qualität sinkt, denn nicht jedem gelingt es Worte meisterhaft zu Papier zu bringen. Ähnlich verhält es sich im Thriller-Genre – ich habe unzählige Bücher enttäuscht und erbost abgebrochen und wieder aus dem Bücherregal verbannt, bevor ich mich entschloss mein Leseverhalten zu ändern. Seitdem besinne ich mich auf Autoren, die ich bereits kenne oder wenn ich eine wirklich vertrauenswürdige Referenz habe – oder wenn es Autoren vergangener Zeiten sind. Das ist schade und sicherlich geht vieles an mir vorbei, aber das lässt sich wohl nicht ändern. Mein Geschmack ist jedenfalls nicht wirklich mainstream-tauglich.
Ich weiss nicht, was KI da helfen soll, ich denke es wird eher noch schlimmer – und das sage ich als KI-Befürworter 😏. Aber ich denke es ist ähnlich wie mit der Musik: die bessere gibt es abseits des Mainstreams, durch Streaming-Plattformen und KI geraten diese Künstler aber immer stärker unter Druck. Ähnlich wird es Buchautoren gehen.
Beim Lesen ist es noch so, dass die Aufmerksamkeitszeitspanne immer weiter abnimmt, darüber habe ich vor längerer Zeit mal etwas gelesen – weiss nicht mehr wo. Aber das Überangebot an (Action)-Filmen und Serien mit immer schnelleren Handlungssträngen führt dazu, dass es für
Menschen immer schwieriger wird Geschichten aufmerksam zu lesen, deren Handlung sich nur langsam entfaltet. Das fällt mir auch immer wieder auf, wenn ich im Nachgang mir Rezensionen zu Büchern durchlese, die ich selbst gut fand, um zu sehen, ob die Geschichte auf andere Leser ebenso gewirkt hat.
Vielleicht ist das aber auch einfach der Lauf der Dinge und wer bin ich, dass ich beurteilen kann, was ein gutes Buch ausmacht …
Hi Harald,
das ist auch echt eine Kunst gute Bücher zu finden. Wenn man anspruchslos ist, dann wird man mit dem Einheitsbrei gut zurechtkommen. Ich kann mich noch erinnern, wo die Vampir-Schmonzetten angesagt waren. Daraus ist dann ein ganzes Genre geworden. Ich kann das gut verstehen, die Verlage müssen halt auch ihr täglich Brot verdienen und dann bedienen sie einen Markt. Ich bin da einfach raus, da bin ich einfach zu anspruchsvoll. Ich kann Deinen Frust über die Thriller-Bücher auch echt nachvollziehen.
Das habe ich auch gelesen, dass die Aufmerksamkeitsspanne einfach massiv sinkt. Das ist auch irgendwie klar, wenn man sich anschaut, wie Social Media oder selbst normale News Seiten aufgebaut sind. Ich hab mal gelesen, dass Amazon sogar ermittelt, wie viele Seiten die Leute mit dem Kindle Reader lesen und wo sie aussteigen aus einem Buch. Und eine Idee war es mal, dass die Autoren nach gelesenen Seiten bezahlt werden. Was das für die Qualität von Büchern bedeutet, will ich mir gar nicht ausmalen. Eine gute Geschichte braucht auch oft Zeit um sich zu entfalten und da braucht es manchmal ein bisschen Geduld, die dann sehr oft dann auch sehr belohnt wird.
KI wird es vermutlich nicht besser machen. Wer weiß. Ich bin bei 99% der Neuerscheinungen ohnehin raus. So viel kann es also auch nicht mehr kaputt machen. Dein Geschmack war auch immer sehr speziell und individuell und das habe ich immer sehr geschätzt, auch bei Musik. Das gibt es halt einfach nicht mehr so oft, die meisten konsumieren einfach das, was mainstream ist.
Vielen Dank für Dein Feedback.
Liebe Grüße
Tobi
Lieber Tobias,
Deine Betrachtungen zur Entwicklung des Buchmarkts unter dem Einfluß von KI finde ich interessant und bemerkenswert.
Die literarische Verflachung, Uniformität, Oberflächlichkeit und Austauschbarkeit vieler Belletristik-Titel ist auch bereits ohne KI schon recht ausgeprägt. Und wenn dann eine noch stärkere profitanalytische KI das letzte Wort bei der Entscheidung für oder gegen ein Manuskript hat, sehe ich schwarz für anspruchsvolle, ausgefallene und originelle Texte und auch für die hochwertige materielle Buchgestaltung.
Ich bin ja gelernte Buchhändlerin, arbeite aber schon seit sieben Jahren an der Kasse und für den Museumshop des Deutschen Klingenmuseums. Dort durfte ich in Abstimmung mit der Museumsleitung einen kleinen handverlesenen Kinderbuchtisch mit Kinderbüchern, die zur Museumsthematik passen, etablieren. Im Museum findet sich selbstverständlich ein hoher Anteil bildungsnaher Besucher, und es kommt häufig vor, daß Eltern oder Großeltern jedem mitgeführten Kind einfach so zwischendurch ein schönes Buch kaufen.
In meiner überschaubaren Kulturoase, noch dazu angestellt im Öffentlichen Dienst, habe keine Sorge um meinen Arbeitsplatz. Würde ich allerdings noch im Buchhandel arbeiten, sähe dies anders aus. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren sehr viele Buchhandlungsschließungen erlebt und erlitten, und selbst die großen Buchhandelsketten haben inzwischen wirtschaftlich zu kämpfen.
Gewiß könnte die KI aber auch einen luxuriösen Nischenmarkt für anspruchsvolle, kultivierte Leser austüfteln, wenn man sie freundlich darum bittet. 😉
Nachtaktive Grüße von
Ulrike
Liebe Ulrike,
vielen Dank für Deine Gedanken und Deinen Kommentar. Das kann ich mir gut vorstellen, dass der Tisch mit schönen Büchern Anklang findet. Das ist genau das richtige Umfeld. Ich schätze das sehr, dass ich beruflich nicht im Literaturbetrieb bin und mich ganz ohne Einschränkungen oder Pflichten dem Genuss von schönen Büchern hingeben kann. Das ist echt was wert. Ich denke mir aber oft, dass man doch als Buchhändler oder auch Verlagsmitarbeiter schon sehr besorgt sein muss, wenn man sich die aktuelle Entwicklung anschaut. KI kann das schon nochmal echt beschleunigen.
Das ist echt die Frage, ob eine KI einen Nischenmarkt entdecken könnte. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist eher klein, weil die zentrale Frage wird immer die nach hohen Profiten sein. Ich glaube, dass beispielsweise diese schönen Klassiker vom mare Verlag komplett Nische sind. Das wird sich schon lohnen, aber ob das so viel Profit bringt und ob der insbesondere vom Trend steigend ist, das wage ich zu bezweifeln.
Ich frage mich immer, warum die wirtschaftliche Situation und auch die Entwicklung so wenig thematisiert wird. Aber vielleicht bin ich auch einfach nicht gut genug informiert.
Liebe Grüße und vielen Dank, dass Du hier so lange schon mitliest und auch kommentierst. Das freut mich besonders, von Dir einen Kommentar zu lesen.
Tobi
Lieber Tobi,
verbindlichen Dank für Deine wertschätzende Antwort auf meinen Kommentar.
Ja, meine Miniaturkinderbuchabteilung im Museum macht mir, meinen Kolleginnen und den Museumsbesuchern viel Freude. Außerdem wächst diese Abteilung inzwischen, da ich für den neugestalteten Kinderbereich des Museums, der ab April 2025 unter dem Motto „Drache und Zauberschwert“ stehen wird, tolle Drachenkinderbücher finden durfte.
Buchhändler arbeiten häufig mit viel – vermutlich zuviel – Idealismus für kleines Geld. Ich kann ein trauriges Lied von untertariflichen Löhnen im Buchhandel singen. Vor neun Jahren hatte ich ein letztes Bewerbungsgespräch in einer Buchhandlung in Düsseldorf. Dort wurde mir ein brutto Stundenlohn von 9,50 € angeboten, das lag damals schon 40 % unter dem Tariflohn für den Einzelhandel. Das war der Wendepunkt, mich von meinem Wunsch weiterhin als Buchhändlerin zu arbeiten, zu verabschieden.
Dank glücklicher Fügung bin ich dann buchstäblich bei mir um die Ecke im Deutschen Klingenmuseum https://klingenmuseum.de/inhalt gestrandet. Das hat neben den sehr schönen klösterlichen Räumen und dem interessanten, internationalen Publikum auch den Vorteil, daß ich mich kein bißchen mit langweiligen Bestsellerlisten und Neuerscheinungstrends befassen muß, sondern nur mit Büchern, die zur Museumsthematik passen.
Die Klassikerausgaben vom mare Verlag sind in der Tat von herausragender Qualität. Sehr hochwertig finde ich auch die Reihe NATURKUNDEN vom Matthes & Seitz Verlag. Der harmonische Einklang zwischen substanzieller innerer und äußerer Buchqualität, dieser von Judith Schalansky herausgegebene Reihe, ist wirklich beachtlich. Dies sind allerdings Sachbücher, nachfolgend ein Link zum Kennenlernen:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2021/09/02/hanf/
Unter Profitorientierung könnte die KI einen LUXUS-Nischenmark für Bücher mit sehr kleinen Auflagen und hohem Sammlerwertpotenzial für lohnenswert erachten. Es wird ja auch reiche Menschen geben, die kulturelle Neigungen und einen Sinn für gute Material- und Gestaltungsqualität haben – die sammeln dann vielleicht neben kostbaren Uhren, Autos und Fotomodellen auch noch kostbare Bücher. 😉
Herzlich grüßt Dich
Ulrike
Lieber Tobias,
ich fürchte (als Thriller-Autor, der bei Aufbau verlegt wird), dass du da einen Punkt machst. Zwar ist nicht das neue MediaControl Tool das Problem, wohl aber das, was an anderer Stelle folgen wird, sprich: Amazon. Ich kenne aus häufigen Besuchen im Silicon Valley die dort herrschende Mentalität nur zu gut und muss deine Prognose deshalb bestätigen. Was technisch machbar ist, um Gewinne zu maximieren, wird entwickelt und benutzt werden. Was das für Literatur generell, aber auch für anspruchsvollere Thriller bedeutet, die nicht mitten im Mainstream segeln, will ich mir noch nicht ausmalen. Danke für deinen Beitrag zu diesem brisanten Thema!
LG aus dem nebligen Taunus
R.M.
Lieber Roland,
vermutlich bist Du nicht hauptberuflich Autor und genießt das Schreiben für Dich. Ich denke, wenn man von dem Geschäft leben muss, dann muss man doch schon sehr beunruhigt sein. Wenn nicht Amazon das Geschäft macht, wird sich irgendeiner finden, der es schafft, diese Informationen gewinnbringend zu verwerten. Und die Unternehmen aus dem Silicon Valley sind doch knallhart auf Profit aus. Und ich hab immer das Gefühl, dass die deutsche Literaturbranche völlig tatenlos ist und sich eher in einer Schockstarre befindet, als selbst aktiv zu werden. MediaControl ist mit dem Tool eine echte Ausnahme und das muss man ihnen echt hoch anrechnen, dass sie das versuchen und umgesetzt haben. Es bleibt spannend, was die nächsten Jahre so an Entwicklung bringen wird.
Liebe Grüße
Tobi
Lieber Tobi,
Deine Vermutung ist in Teilen richtig. Ja, ich muss nicht vom Thrillerschreiben leben. Aus dem Alter bin ich raus. Weshalb ich mich auch nicht mitten im Mainstream des Genres bewege, sondern in den sehr viel spannenderen Grenzbereichen. Insofern genieße ich das Schreiben, bin mir aber durchaus der kommerziellen Bedingungen bewusst, unter denen es erfolgt. Die deutsche Literaturbranche (zumindest die Aufbau Verlage) ist sich der Entwicklung durchaus bewusst, scheint aber noch ein wenig ratlos. Wenn der Druck des Controllings in den Verlagen weiter ansteigt – und das wird er zuallererst bei den konzerngebundenen Publikumsverlagen –, werden auch weitere Hemmungen fallen. Prognosen würde ich heute, Ende 2024, noch nicht wagen 😉
LG aus dem Taunus
Roland
moin tobi,
nach dem rüberstolpern aus einem anderen blog (was selten genug passiert), hat mich der beitrag direkt in den bann gezogen.
tatsächlich halte ich das leseverständnis der nachkommenden für weitaus relevanter als die KI apokalypse. im zug wird ja beispielsweise fast nur noch gewischt – selbst digitale (lang) texte haben es da schwer.
die buchbranche wird’s hart treffen und es wird schade sein den verlust an qualität und originalität mitzuerleben. andererseits kümmerts mich dann aber auch nicht sehr, denn der künstlerische ausdruck ’schreiben‘ wird nicht verschwinden. und das bereits geschriebene und gedruckte reicht auch für tausende lebzeiten meinereiner.
deine ästhetischen einschätzungen des büchermarkts fand ich zunächst interessant, musste aber ein hartes innerliches korrektiv fahren als ich „horizon“ und „cyberpunk“ als beispiele gelungenen game-designs las. das sind nun wirklich hingeschluderte (mal technisch, mal inhaltlich) kommerzprodukte. daher dann ein stern abzug. ;D
ahoj
Lieber Tobias
Vielen Dank für die interessanten Überlegungen und Beispiele.
Die Sache ist in der Tat beängstigend, umgekehrt wünschen dies doch alle Verlage und Autorinnen und Autoren schon lange, dass sie endlich bereits zum Voraus wissen, dass ihr Buch ein Bestseller wird. Dumm nur, wenn in Zukunft 99.9% feststellen müssen, dass ihr Buch kein Bestseller werden wird, bevor es veröffentlicht ist. Werden dann die Grossverlage nach dem sekundenschnellen Check folglich nur noch 10 Bücher pro Saison publizieren (für die Kleinverlage sind Bestseller sowieso meist nicht in Reichweite), weil die Verlagsleitungen nun schwarz auf weiss den Beweis dafür haben, dass nur diese 10 Titel in den nächsten Monaten in die Top 50 kommen?
Du bringst den Vergleich mit der Videospieleindustrie. Wie sieht es mit Netflix etc. aus, die Nutzerdaten von Millionen haben? Ich kenne mich da nicht aus, aber man liest immer mal wieder von Flops aus dem eigenen Haus oder Überraschungserfolgen. Wieso haben die das nicht vorausgesehen? Ich habe das Netflix-Abo wieder gekündigt, weil ich unzufrieden mit der Auswahl der Serien und Filmen war. Immer die gleichen 20 Titel in allen möglichen Kategorien angezeigt. Und wieso mussten die dauernd die «Covers» der Filme wechseln, wenn sie doch angeblich die Vorlieben der Kunden kennen?
Offensichtlich ist es mit dem ästhetischen Geschmack so eine Sache. Du magst die Suhrkamp-Cover nicht. An welche denkst du denn dabei: an die legendären von Willy Fleckhaus oder meinst du auch die Krimi-Covers etc.? Der Diogenes Verlag produziert einige Bestseller und die Cover-Fotos sind seit unzähligen Jahren immer im gleichen Rahmen. Es scheint zu funktionieren. Aber wer weiss, vielleicht ist bald Ende damit, wenn die Lese-Generationen, die damit älter geworden sind, langsam aussterben. Vielleicht sagt die KI dem Diogenes Verlag aber auch noch rechtzeitig, dass sie die Covers ändern müssen, um weiterhin auf die Bestsellerlisten zu kommen. Ich hoffe nur, dass die KI nicht die sich immer ähnlichen Bilder als Alternative dafür generiert – und das Gleiche für Manesse, Suhrkamp etc.
Lieber Gruss, Felix
Es ist zu erwarten, dass KI den Buchmarkt disruptiv verändern und Verlage verstärkt auf kommerziell erfolgreiche Autoren und Titel fokussieren wird, wodurch Nischenliteratur vernachlässigt werden könnte. Die KI wird die Lesepräferenzen der Mehrheit beeinflussen, was potenziell zu einer Qualitätsminderung führen kann. Die Entdeckung literarischer Kleinode wird dadurch erschwert.