Über Bord • Rudyard Kipling
Über Bord ist das zweite Buch von Rudyard Kipling, das ich bisher gelesen habe. Nach der Lektüre seiner Reiseberichte war ich neugierig, wie sich denn eine Geschichte von ihm liest. Von Ozean zu Ozean war sicher kein schlechtes Buch, aber richtig durchgängig begeistern konnte es mich nicht. Mehr von dem bisher jüngsten Preisträger des Literaturnobelpreises zu lesen und insbesondere auch einen Bildungsroman zur Hand zu nehmen, der nach dem Dschungelbuch verfasst wurde, hatte ich schon geplant, aber recht weit oben war Kipling bisher nicht auf meiner Wunschliste. Was mich dann sofort überzeugt hat, ist diese schöne Ausgabe von Über Bord, die im September vergangenen Jahres bei der Büchergilde Gutenberg erschienen ist. Auf Charlottes Blog besonders buch, den ich wirklich liebe, weil sie ihren Fokus auf bibliophile Bücher hat, bin ich darauf gestoßen und musste das Buch einfach sofort haben.
Aber auch der Klappentext konnte mich sofort überzeugen: Ein Abenteuer, das Meer und die Seefahrt. Ein Mix, der mir einfach gefällt. Zu viele Bücher dieser Art habe ich schon gelesen, als dass ich an diesem Buch hätte vorbei gehen können. Harvey, ein junger, verwöhnter Sohn eines Millionärs, fällt von Bord eines luxuriösen Passagierschiffs. Ein kleines Fischerboot, die We’re Here nimmt den kleinen Snob auf und es ist klar, dass er bei den einfachen aber aufrichtigen Fischern erst einmal ordentlich aufläuft. Keiner glaubt ihm die Geschichte vom reichen Papi und so muss er sich erst einmal fügen und als Schiffsjunge kräftig mit anpacken.
Als Kipling Über Bord geschrieben hat, war er schon mit dem Dschungelbuch und seinen zahlreichen Erzählungen und Gedichten sehr berühmt. Zwischen dem Arzt Dr. James Conland, der nach der Geburt von Kiplings Tochter seine Frau betreute und Rudyard entstand eine Freundschaft und so erzählte Conland ihm die Erlebnisse, die er auf seinen Fahrten mit den Kabeljaufischern gemacht hatte. Auch mehrere kurze Sommerbesuche in dem Fischereihafen Gloucester in Massachusetts diente als Inspiration für dieses Buch. Dass Kipling allerdings selbst schon sehr viel in der Welt herum gekommen ist, merkt man an den Beschreibungen des Alltags an der We’re Here, dem Schoner, auf dem Harvey landet. Mit seiner Beobachtungsgabe schafft er es, gerade die einfachen Menschen sehr gut zu portraitieren. Was mir dabei besonders gut gefallen hat, ist das Gefühl einer eingeschworenen Gemeinde, die diese kleine Besatzung darstellt und die auch auf einer ganz romantischen und emotionalen Ebene vermittelt wird. Da sitzen die rauen Seeleute bei Sturm in ihrer Koje und erzählen sich Geschichten, musizieren und jeder wird so akzeptiert, wie er eben ist. Stück für Stück erfährt man ein wenig über die Vergangenheit der Besatzungsmitglieder, ihre Eigenheiten und erlebt zusammen mit Harvey die Höhen und Tiefen des Lebens einfacher Fischer. Sehr gelungen ist die Aussprache der einzelnen Seeleute, welche die jeweilige Mundart nachahmt. Ein Portugiese oder ein rauer Seemann spricht eben nicht in grammatikalisch sauberen Sätzen und klaren Worten. Ein Detail, dass das Buch noch authentischer macht.
Manchmal habe ich mich sehr an Heute dreimal ins Polarmeer gefallen von Arthur Conan Doyle erinnert gefühlt. Zusammen mit Harvey taucht man in ein ganz einfaches Leben ein, das vom Meer und vom Fischfang geprägt ist. Aber auch von den rauen Sitten der Seeleute, deren ganzes Leben sich auf dem Meer abspielt. Die Moral von der Geschichte ist nun nicht außergewöhnlich, aber in Summe macht die Lektüre echt Spaß und wird durch die realistischen Episoden auf Meer sehr unterhaltsam.
Was hier die schöne Geschichte sehr aufwertet, sind die gelungenen Illustrationen von Christian Schneider. Bisher konnte mich die Gestaltung der Bücher der Büchergilde nicht überzeugen. Zu abstrakt und wenig ansprechend sind die Zeichnungen. Ganz anders ist das bei diesem Buch, das mich sowohl von der Gestaltung des Einbandes, aber auch von den Abbildungen im Inneren des Buches sehr überzeugen konnte. Schneider hat hier einige wirklich sehr schöne Illustrationen beigesteuert und verstärkt so die Stimmung des Buches.
Auch von der Typographie und dem dicken Papier ist das Buch ein wirklicher Genuss. Sehr einfallsreich fand ich die Fußnoten, die in leichterem Grau direkt neben dem Text stehen und somit wesentlich weniger den Lesefluss stören. Eine kleine Karte, die vorne in das Cover gesteckt wird, ist zwar nicht wirklich für ein Verständnis erforderlich, lässt aber mein bibliophiles Herz schon höher schlagen. Sowohl Kipling, als auch die Büchergilde werde ich künftig genauer im Auge behalten. Mit Kim hat der Hanser Verlag auch noch eine sehr schöne Ausgabe im Programm, auf die ich schon einmal ein Auge geworfen habe. Das dürfte nun doch recht weit oben in der Wunschliste landen.
Bemerkenswert fand ich auch das Nachwort, das einen Abriss von Kiplings Leben gibt und sich auch mit den Rassismus-Vorwürfen ihm gegenüber beschäftigt. Ich fand das sehr spannend, denn hier wird auf wenigen Seiten ein sehr interessantes Bild von dem Autoren gegeben und man erfährt hier einiges über ihn. Beispielsweise, dass er seine sehr geliebte Tochter verloren hat und das auch sein Sohn im Krieg gefallen ist. Auch, dass er nach den Reisen, über die ich bereits in Von Ozean zu Ozean gelesen habe, noch nach Südafrika gereist ist, oder auch mit seiner Frau Caroline in den Vereinigten Staaten gelebt hat.
Fazit: Mit Über Bord konnte mich Kipling als Erzähler und die Büchergilde mit ihrer neuen Auflage sehr überzeugen. Das Buch ist unterhaltsam zu lesen, vermittelt sehr schön den Alltag der Fischer und lässt den Leser die Gemeinschaft und die Veränderung des jungen Harvey nachvollziehen und auch von der Stimmung sehr gut nachempfinden. Ein Buch über das Meer, über die Fischerei und über sehr unterschiedliche Charaktere, die dort auf dem kleinen Schiff ein Abenteuer erleben, dass zu lesen viel Vergnügen bereitet. Besonders die schönen Illustrationen, die sorgsam gewählte Typographie und die wertige Verarbeitung des Buches sind ein wahrer Genuss.
Buchinformation: Über Bord • Rudyard Kipling • Büchergilde Gutenberg • 312 Seiten
Was für ein wunderschönes Buch!
Mit den Büchern der Büchergilde ging es mir bislang genau wie dir: Die meisten fand ich optisch alles andere als gelungen bzw. sprach mit der Illustrationsstil nicht an. Mit „Über Bord“ hat die Büchergilde aber wirklich ein kleines Kunstwerk geschaffen, das ich mir auch sehr gern ins Regal stellen würde. Nur zu Rudyard Kipling an sich habe ich bisher noch keinen rechten Zugang gefunden. Ich mag zwar bspw. „Das Dschungelbuch“ als solches und finde auch Kiplings Leben sehr faszinierend. Als ich „Das neue Dschungelbuch“ aber vor ein paar Jahren selbst las, fand ich dazu einfach keinen Zugang. Daher muss ich mich an Kipling wohl erst einmal langsam herantasten. „Über Bord“ reizt mich allerdings sehr von seiner Thematik und du hast es nach wenigen Sätzen geschafft, mir das Buch nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich „zu verkaufen“. Ich schaue mal, ob ich eine Leseprobe finde und vielleicht wandert das Buch im Frühjahr (nach meinem Kaufverbot 😉 ) in mein Regal.
Liebe Kathrin,
Kipling konnte mich mit seinen Reiseberichten auch nicht ganz überzeugen und was mich dann hingerissen hat, doch dieses Buch zu holen, ist diese schöne Ausgabe und der ganze Rahmen der Geschichte. Das Buch hier konnte mich dann aber auch von der Geschichte überzeugen und er hat das schon sehr schön geschrieben. Wobei es mir so ging, wie dir. So richtig zugetraut hab ich es ihm nicht, dass er mich begeistert. Auf jeden Fall werde ich mir Kim von ihm holen, denn die Neuauflagen vom Hanser Verlag sind bisher ausschließlich Knaller.
Nachdem du ja auch sehr schöne Bücher liebst, dürfte das Buch für dich auf keinen Fall eine Enttäuschung werden.
Liebe Grüße
Tobi